Marcel Broodthaers
The Manuscript
1974
EB40
Glasflasche mit Aufdruck, bedrucktes Seidenpapier, bedruckter Karton
Höhe: 30 cm
120 Exemplare, signiert und nummeriert
9.000 Euro
»Das Manuskript in der Flasche ist der Titel unserer neuen Edition von 120 Flaschen, die wir zusammen mit anderen Flaschenobjekten vorstellen«, heißt es in einer von Marcel Broodthaers häufig verwendeten elegant geschwungenen Schreibschrift auf der Einladungskarte, mit der die Galerie Block die Ausstellung Marcel Broodthaers. Das Manuskript in der Flasche 1833/1974 im Oktober 1974 ankündigt. Auf der Vorderseite der Einladungskarte sind zudem prominent zwei Jahreszahlen zu lesen – 1833 und 1974 –, die unmittelbar auf die zeitlichen Verwicklungen verweisen, mit denen The Manuscript spielt.
Beide Jahreszahlen sowie der englische, französische und deutsche Titel in unterschiedlichen Schrifttypen finden sich auf je einer Seite des Kartons, in dem das Flaschenobjekt, eine weiße Bordeauxflasche, verpackt ist. Eingewickelt ist sie zudem in einem cremefarbenen Seidenpapier mit Signatur und Nummerierung, auf dem ein ebenfalls dreisprachiger Text einen ersten Aufschluss gibt über den Zusammenhang von Objekt, Titel und Jahreszahl. Er habe die Flasche »am grünen Strand der Spree« gefunden, überschreibt Broodthaers in der ersten Zeile die folgenden Erläuterungen, und verortet den Fundort in der Gegenwart des Jahres 1974, in dem Broodthaers als Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD in Berlin war, und macht so aus dem vermeintlichen Fundstück zugleich eine Flaschenpost. Diese verweist zunächst auf eine andere Zeit und einen anderen Ort, wie wir dem folgenden Text auf dem Seidenpapier entnehmen können, der zugleich das Flaschenobjekt weiter beschreibt: »Das Objekt: Eine gewöhnliche Bordeauxflasche. Im ersten Drittel unterhalb des Flaschenhalses sind die Worte ›Das Manuskript‹ und die Jahreszahl ›1833‹ in einem lichten Schwarzton eingebrannt. / Das Subjekt: Ist eine Erzählung von Edgar Allan Poe ›Das Manuskript in der Flasche‹, 1833 zum ersten Mal in Baltimore in einer Zeitung veröffentlicht.« Während in Poes Erzählung die Abenteuer eines unbekannten, schiffbrüchigen Ich-Erzählers durch eine Flaschenpost überliefert werden, enthält Broodthaers’ Flaschenobjekt keine Nachricht, die Flasche bleibt leer. Vielmehr erzeugt The Manuscript in anspielungsreichen und rätselhaften Bezügen zwischen Fiktion und Realität, Gegenwart und Vergangenheit, Subjekt und Objekt eine Ambivalenz, die sich der Klarheit einer (erwarteten) Botschaft in der Flasche – oder eines Werkes – deutlich widersetzt.
Diverse Entwürfe und Skizzen von Broodthaers im Archiv der Edition Block geben vor allem für die Gestaltung von Einladungskarte, Seidenpapier und Kartonage der Edition einen detaillierten Entwurfsprozess zu erkennen. Dort findet sich auch der Prototyp einer Dreierpackung. Ursprünglich war vorgesehen, die Nr. 1–36 des Auflagenobjektes als Dreierpackungen anzubieten, in denen jeweils drei Flaschenkartons miteinander verbunden sind. Die Seidenpapiere für diese Präsentationsform liegen von Broodthaers signiert und nummeriert vor, so dass sie noch ausgeführt werden kann.
Zu ergänzen ist hier noch eine Anekdote, der zufolge es einfacher und preisgünstiger war, die von Broodthaers verwendeten charakteristischen weißen Bordeauxflaschen selbst zu leeren als diese in der benötigten Stückzahl bei einem französischen Hersteller leer zu kaufen. Besucherinnen und Besucher der James Lee Byars-Ausstellung im September 1974 wurden eingeladen, volle Flaschen mitzunehmen und leer wieder in die Galerie zurückzubringen.
Text: Birgit Eusterschulte

