Alicja Kwade
Nachts
2020
EB104
Kerzendocht, gerahmt in Passepartout, Text in Leinenkassette
31 x 23 x 2,5 cm
24 Exemplare + 5 AP, signiert und nummeriert
3.600 Euro
Ausgangspunkt für Alicja Kwades Edition Nachts ist das berühmte Gedicht First Fig, das Edna St. Vincent Millay 1920 verfasste. Es beschreibt das Leben der Dichterin als eine Kerze, die an beiden Enden brennt – kurz, aber dafür umso heller. Es ist unklar, ob Millay dieses Bild erfunden oder aufgegriffen hat, die Metapher ist eindeutig: Sie beschreibt ein in vollen Zügen gelebtes Leben, das sich in seiner Leidenschaft – zur (künstlerischen) Arbeit, in der Liebe, zu Alkohol und Drogen – schneller als ein „normales“ verzehrt. Millay selbst lebte es bis zur Selbstzerstörung und beschreibt mit ihrem Vierzeiler das Gefühl einer Generation in einer Zeit des Umbruchs zu Beginn der 1920er Jahre. Alicja Kwade, die sich in ihrem Werk immer wieder mit der Sichtbarmachung, Messung und dem Paradox von Zeit beschäftigt hat, greift dieses Bild und das darin beschriebene Lebensgefühl hundert Jahre später wieder auf. Für die Visualisierung der Metapher ließ sie Kerzen von beiden Seiten abbrennen, ohne aber dass sich die Flammen in der Mitte trafen und zu einer wurden – also exakt bis zu dem Punkt, bevor sie sich selbst verzehren konnten. Der selbstzerstörerische Überschwang wird durch präzises künstlerisches Kalkül gestoppt. Dieselbe Idee, anders materialisiert, liegt auch der Edition My candle burns at both ends aus demselben Jahr zugrunde, deren Titel die erste Zeile von Millays Gedicht wörtlich zitiert: die an beiden Seiten abgebrannten Kerzenstummel wurden in Bronze gegossen, naturalistisch bemalt und auf einem Marmorsockel präsentiert – so, als wäre der Überrest des sich selbst verzehrenden Elements für die Ewigkeit festgehalten. Für die Edition Nachts wurden 24 Dochtstummel von dem verbliebenen Kerzenwachs befreit und in rund oder oval ausgeschnittenen Passepartouts gerahmt. Das gerahmte Bild liegt in einer Leinenkassette, in deren linker Innenseite das Gedicht wiedergegeben ist.
Text: Eva Scharrer




