Dieter Roth
Litera­tur­würste

1970

EB29

Zerkleinerte Zeitungen, Fett in Plastik
verschiedene Größen

25 Exemplare, signiert

vergriffen

Multiple von Dieter Roth. s/w Foto: 3 Würste in verschiedenen Größen hängen an einer Stange. Sie sind mit zerkleinerten Zeitungen gefüllt. Auf den Würsten sind Logos geklebt: Der Spiegel, Bild, Welt, usw.

    Unter der Nr. 29 der Edition erscheinen 1970 insgesamt 25 Exemplare der sogenannten Literaturwurst von Dieter Roth. Dieser hatte bereits 1961, in einer Zeit, in der er sich intensiv mit Künstlerbüchern und Buchobjekten beschäftigte, eine erste Literaturwurst aus einer Ausgabe des Daily Mirror hergestellt, die er seinem Künstlerfreund Daniel Spoerri schenkte. Die Idee zu einer Serie von Literaturwürsten setzt Roth ab 1966 um, wobei er eine Auflage von 50 Exemplaren festlegt. Die Literaturwürste entstehen in einem Verarbeitungsprozess, in dem einzelne Titel der Gegenwartsliteratur und ausgewählte Zeitschriftenausgaben zerkleinert und nach ausgewählten Rezepten (z.B. Italienische Pfefferwurst) mit Fett und Gewürzen vermischt und einem Verfahren der Wurstherstellung unterzogen werden. Während die Texte wortwörtlich verwurstet werden und die Schrift unkenntlich wird, stehen die Wurstobjekte insofern für den verarbeiteten Inhalt, als jedes mit einem Etikett – ausgeschnitten aus der Titelseite des Buches oder der Zeitschrift – versehen ist. Maße und Form der jeweiligen Editionen variieren je nach Umfang und Inhalt der Ausgangstexte. Wie echte Würste können sie an einem Bindfaden, mit dem die zwei Enden verschlossen sind, aufgehängt werden. Anders als die ersten 25 Exemplare der Literaturwürste, die einen Naturdarm für die Herstellung der Würste verwenden, sind die 25 Exemplare, die 1970 in der Edition Block erscheinen, mit einem Kunstdarm hergestellt. Die Serie der Literaturwürste, die 1970 erscheint, unterscheidet sich aber vor allem in der Auswahl der »verwursteten« Literatur, denn Roth wählt anstelle von Gegenwartsliteratur nun deutsche Zeitungen und Zeitschriften wie Quick, Bunte, Der Spiegel und Stern aus. Jeweils eine Zeitschrift geht in eine Literaturwurst ein, mit Ausnahme eines Exemplars, in dem Roth eine Ausgabe der Bildzeitung und der Welt verarbeitet. Die Literaturwürste sind auf einem kleinen Papieretikett auf dem Objekt nummeriert, datiert und signiert. Die am Anfang dieser Objekte stehende Abneigung gegenüber literarischen Werken, vor allem der deutschsprachigen Literatur, die ihm ideologisch fragwürdig erschienen, dürfte indes auch auf die Zeitschriften übertragbar sein: »Da hab ich das Buch«, Roth spricht hier von Günter Grass’ Roman Hundejahre, der 1963 erschienen war, »zerfleischt und Würze rein so wie eine widerliche Wurst, das ganze Rezept, und dann in den Darm rein, damals gabs noch richtige Därme, und dann hab ich diese Etiketten ausgeschnitten vorne und auf den Darm geklebt. Hundejahre. So hats angefangen. Dann hab ich gemerkt, das hat einen ironischen Wert, da kann man noch mehr machen. Andersch, Böll war auch so ein beliebter Literaturhund bei mir.«1
    Text: Birgit Eusterschulte

    1 Peter P. Schneider, Simon Mauerer, »Gespräch mit Dieter Roth am 15.5.1998«, in: Dieter Roth. Gesammelte Interviews, hg. v. Barbara Wien, Edition Hansjörg Mayer, London 2002, S. 473–487, hier S. 486.